Meinung: Digitale Retusche – Betrug oder Ausdrucksmittel?

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Kaum ein Fotograf, der ernsthaft digital fotografiert, verzichtet auf Nachbearbeitung seiner RAWs. Gleichzeitig erlebt die analoge Fotografie eine Renaissance. Ist das Ausdruck einer Sehnsucht, zum authentischen, unverfälschten Bild zurückzukehren? Ausdruck eines Überdrusses an der Flut gelackter, verkitscher Bilder mit ihren nachkolorierten Abendhimmeln und gummibärchenartig übersättigten Farben?

Mit Sicherheit. Aber ist das Gegenteil, also der Verzicht auf Nachbearbeitung und Retusche authentischer? Sollten auch wir Digitalfotografen unseren RAW-Konverter, unser Lightroom und den ganzen Rest unserer digitalen Trickkiste vergessen und nur noch Bilder straight-out-of-the-camera (SOOC) als authentisch akzeptieren? Und was ist eigentlich die Entsprechung des unbestechlichen Films in der Digitalkamera? Das JPEG, das die Kamera erzeugt, oder doch eher die Physik des Sensors und die RAW-Datei, die er erzeugt?

Diese Diskussion führt wohl in die Irre. Die eigentliche Frage ist ja eine andere: Wann ist das Bildergebnis authentisch? Und das hat sicherlich nichts mit der Aufnahmetechnik zu tun.

Ich bin bekennender RAW-Fotograf und Nachbearbeiter. Kaum ein Bild, das ich nicht anfasse. Und deshalb habe ich für mich auf diese Frage eine sehr klare Antwort gefunden. Jede Art von Retusche, Nachbearbeitung und Bildbearbeitung ist – im Sinne der Authentizität – legitim, wenn sie dem Ziel dient, das herauszuarbeiten, was der Fotograf gesehen und empfunden hat als er das Foto aufnahm. Zum Beispiel beanspruche ich für meine Serie „Berlin schwarz + weiß + 1“ Authenttizität, obwohl die Bilder offensichtlich stark manipuliert sind. Sie transportieren aber genau das, was ich erlebt habe: Farbinseln in einer weitgehend monochromen Stadtlandschaft.

Die Grenze ziehe ich bei Bildern, die aus mehreren Aufnahmen montiert wurden und dabei vorgeben eine reale Aufnahme zu sein. Das gilt natürlich nicht für Montagen, die mit künsterischer Intention angefertigt und offensichtlich als solche erkennbar sind, wie z.B. die fantastischen Szenen von Costica Acsinte.

So gesehen kann auch eine HDR-Aufnahme durchaus authentisch sein, denn unser Auge hat die großartige Fähigkeit sich beim Wahrnehmen (beim Abtasten) einer Szene blitzschnell auch an extreme Helligkeitsunterschiede anzupassen. Wir sehen also ohnehin mit hohem Dynamikumfang – wenn auch immer nur ausschnittsweise. Dennoch empfinde ich viele HDR-Aufnahmen als kitschig, wohl viele dieser Bilder nur des HDR-Effekts wegen gemacht werden und nicht mit der Absicht, die Anpassungsfähigkeit unseres Auges auf einem Bildschirm oder Fotopapier zu simulieren.

Kurz: nur das unverfälschte, unretuschierte, am besten analog aufgenomme Bild als authentisch zu bezeichnen, ist ein Standpunkt, der gut zur aktuellen Retro-Welle passt. Man wird damit in Diskussionsrunden zur Zeit viel Zustimmung finden. Einer näheren Auseinandersetzung mit den Begriffen Information versus Repräsentation und mit der Funktionsweise unseres Auges und der Bildverarbeitung in unserem Gehirn, hält ein solcher Authentizitätsbegriff nicht stand.

 

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